Diabetes
und "Fliegen mit Insulin"
von Stephen C. Steele
Für die Sicherheit aller Passagiere und der Crew ist es unerlässlich,
dass der Pilot einer Fluggesellschaft ein sehr hohes Maß an physischer
Fitness besitzt. Ein mit Insulin behandelter Diabetes ist bis vor
kurzem als ein medizinisch nicht zertifizierbarer Gesundheitszustand
angesehen worden. Das bedeutet, dass ein Pilot, bei dem ein Typ
1 Diabetes festgestellt wurde, keine Flugaufgaben mehr übernehmen
durfte und ihm damit jegliche Möglichkeit genommen war, irgendwie
in seiner gewählten Berufslaufbahn tätig zu sein. Im Mai 1986 war
ich 14 Jahre lang Pilot, 8 Jahre davon Pilot in einer kommerziellen
Fluggesellschaft. Unglücklicherweise bekam ich gerade dann Symptome,
die zum Diabetes passten. Ein Arztbesuch bestätigte meine schlimmsten
Befürchtungen. Die Diagnose Typ 1 Diabetes wurde gestellt, womit
meine Chance, meine Karriere als Pilot in einer Fluggesellschaft
fortzusetzen, für immer und ewig verloren schienen. Meine Berufslaufbahn
war ruiniert, da ich von nun an permanent vom Fliegen ausgeschlossen
war. Wie zu erwarten, bedeutete der Verlust dieser Karriere, die
zu erreichen mich jahrelange harte Arbeit gekostet hatte, für mich
einen unglaublichen Rückschlag. Glücklicherweise halfen mir meine
Frau, die Freunde und unsere Kirche dabei, diese unglaublich schweren
Zeit zu überstehen, die vor mir lag. Ich kann mich daran erinnern,
dass ich nach der Diagnose des Arztes in seiner Praxis saß und einfach
unschlüssig war, was ich als Nächstes tun sollte, um meine monatlichen
Rechnungen bezahlen zu können. Kanada hatte als ein Unterzeichner
der Konvention über die internationale zivile Luftfahrt Maßnahmen
ergriffen, die denen der internationalen zivilen Luftfahrtorganisation
(ICAO)ähnlich sind, was die medizinische Zertifikation von Personen
mit Diabetes und deren Fähigkeit, Flugzeuge zu fliegen, angeht.
ICAO und ihre Vertragsstaaten betrachteten nur die Piloten als flugfähig,
deren Diabetes durch diätetische Maßnahmen allein eingestellt werden
konnte. Weder Kanada noch irgend ein anderes Land hatte die medizinische
Zertifikation von Diabetikern, die mit Insulin behandelt werden,
autorisiert, ein Flugzeug als Pilot zu fliegen. Die nächsten Monate
verbrachte ich damit, etwas über den Diabetes und seine Behandlung
zu lernen, sowie zu erfahren, wie ich persönlich am besten damit
umgehen kann. Dieser Lernprozess dauert nunmehr 17 Jahre, bis hin
zum heutigen Tag, an. Als ich meinen Diabetes halbwegs unter Kontrolle
bekam, hatte ich sofort im Anschluss darüber nachzudenken, welchen
Job ich nun für den Rest meines Lebens aufnehmen sollte, um damit
die erforderlichen "Brötchen" verdienen zu können. Mein Arbeitgeber,
der glücklicherweise den Wert meiner Erfahrungen zu schätzen wusste,
versetzte mich auf einen Bodenposten, wo ich Piloten der Fluggesellschaft
in einem Simulator ausbilden konnte. Dies war schon mal ein kleiner
Anfang und brachte mir erstmal das dringend erforderliche Einkommen
aber auch die Möglichkeit, zumindest noch eine kleine Rolle in dem
großen Rad der Fliegergemeinschaft spielen zu können. Um meinen
Horizont zu erweitern, nahm ich ein Jurastudium auf. Die nächsten
drei Jahre arbeitete ich für den "Bachelor of Law" und brauchte
noch 18 Monate, um meine Qualifikation als Barristor und Solicitor
in Ontario zu schaffen. Ich arbeitete dann drei Jahre lang in einer
Rechtsanwaltskanzlei und gab noch Teilzeitunterricht am Simulator
meiner Fluggesellschaft. Fünf Jahre nach der Diagnose meines Typ
1 Diabetes arbeitete ich Vollzeit in der Rechtsanwaltspraxis, übte
zusätzlich den Teilzeitjob als Simulatorausbilder aus und hatte
dazu noch die Bedürfnisse einer wachsenden Familie zu berücksichtigen,
was insgesamt ein extrem aktives und erfülltes Leben für mich bedeutete.
Ich war froh, dass mich meine Frau dabei unterstütze, meine Berufslaufbahn
umzugestalten, fand aber nie die persönliche Erfüllung in der Rechtssprechung,
wie ich sie immer in der Luftfahrt erfahren hatte. Es war ein glücklicher
Zufall, dass ein Freund einer anderen Fluggesellschaft von einem
Job hörte, der mich ggf. interessieren könnte. Nach vielen Überlegungen
und dem Abwägen aller Vor- und Nachteile nahm ich dann diese von
ihm aversierte Stelle als Flugsimulator-Instrukteur für eine asiatische
Fluggesellschaft mit Sitz in Hongkong an. Das brachte mir und meiner
Familie einen achtjährigen Aufenthalt in Honkong ein. Es war auf
der einen Seite ein unglaublicher Glücksfall, da dieser Job mir
eine ungeheure Genugtuung brachte und mir auch erlaubte, meine Fähigkeiten
bezüglich des Flugtrainings und der menschlichen Einflussfaktoren
zu entwickeln. Es war nun elf Jahre her, dass ich vom Fliegen suspendiert
worden war. Obwohl ich eine andere Berufsrichtung bei der Luftfahrt
gefunden hatte, hielt ich doch am Wunsch fest, wieder zu fliegen.
Über all diese Jahre, da ich am "Boden" bleiben musste, habe ich
ständig nach Wegen gesucht, meinen Diabetes gut genug kontrollieren
zu können, um eines Tages zu versuchen, meine Pilotenlizenz zurück
zu bekommen. Ich entschloss mich, die Insulinpumpentherapie auszuprobieren
und war damit der allererste Insulinpumpenträger in Asien. Die Insulinpumpentherapie
bewirkte unvorstellbar Großartiges für meine Blutzuckerregulierung
und erlaubte es mir, auf eine bisher nie für möglich gehaltene Art
und Weise, meinen Diabetes perfekt kontrollieren und einstellen
zu können. Während all diese positiven Stoffwechselveränderungen
sich in meinem "Diabetesleben" abspielten, ergaben sich parallel
Veränderungen der Flugbestimmungen in Kanada, die es mir erstmalig
möglich erschienen ließen, hoffen zu können, dass ich irgendwann
wieder zum Fliegen zurückkehren könnte. Im Jahr 1982, als die kanadische
Charta der Rechte und Freiheiten angenommen worden war, die festlegt,
dass " Niemand wegen Körperbehinderung diskriminiert werden darf",
begann die kanadische Regierung, sich mit dem Gesichtspunkt Diabetes
und Fliegen zu befassen. Im April 1992 begann der Zweig der zivilen
Luftfahrtmedizin von Transport Kanada damit, Diabetes im Zusammenhang
mit der modernen Luftfahrtmedizin zu betrachten. Die Behörde stellte
gemeinsam mit Vertretern des Kanadischen Diabetesgesellschaft Richtlinien
auf, die zu einer Veränderung der kanadischen Bestimmungen führten,
woraufhin auch Personen mit einem Insulin behandelten Diabetes nun
für die medizinische Zertifikation auf der Grundlage ihrer individuellen
Fähigkeit, ihren Diabetes zu kontrollieren, infrage kommen. Diese
Veränderungen machen nun Kanada zum führenden Land auf der Welt
im Hinblick auf die medizinische Zertifikation für Piloten-Lizenzen
von Personen mit einem Insulin-behandelten Diabetes. Die Veränderungen
in den Bestimmungen gaben Piloten mit Diabetes die Möglichkeit,
ihren Ärzten und Regierungsbehörden für die Lizenzerteilung zu zeigen,
dass Ihnen nicht notwendigerweise das Recht zu fliegen verweigert
werden darf, wenn sie in der Lage sind, ihren Diabetes bis zu dem
Punkt zu kontrollieren, wo die Sicherheit nicht in Frage gestellt
ist. Kanada erlaubt gegenwärtig die Erteilung einer medizinischen
Zertifikation der Kategorie 1 (beschränkt), die für das kommerzielle
Fliegen und das Fliegen für Fluggesellschaften erforderlich ist;
Kategorie 2 (Luftfahrtkontrolle beschränkt) und Kategorie 4 (nur
Freizeitfliegen) für Piloten, bei denen vorausgesetzt wird, dass
der Bewerber ein geringes Risiko für Hypoglykämien besitzt. Kanadas
neue Bestimmungen erlauben einem Piloten, der die Fähigkeit nachweisen
kann, dass er niedrige Blutzuckerwerte erkennt und seinen diabetischen
Stoffwechsel optimal einstellen kann, medizinisch für das Fliegen
mit bestimmten Einschränkungen zertifiziert zu werden. Es ist erforderlich,
dass die Blutzuckerwerte vor und während des Fluges höher eingestellt
werden, um das Risiko einer Hypoglykämie zu minimieren. Es bestehen
auch Forderungen, dass der Pilot während des Fluges regelmäßige
Blutzuckermessungen durchführt, um sicherzustellen, dass eine ausreichende
Höhe und Konstanz des Blutzuckerspiegels während des gesamten Fluges
beibehalten wird. Dieses bedeutet für mich, den Blutzucker sowohl
vor als auch während des Fluges ganz engmaschig zu kontrollieren,
um sicherzustellen, dass die Blutzuckerwerte während des kompletten
Fluges nicht unter 5,5 µmol/l abfallen. Die Blutzuckerwerte sollten
andererseits während des Fluges auch nicht über 15 µmol/l ansteigen.
Eine Versorgung mit schnell resorbierbaren Kohlenhydraten, am besten
gezuckerte Getränke etc., muss während des Fluges immer sicher gestellt
sein, um bei einer fallenden Glukosetendenz zu verhindern, dass
die Blutzuckerwerte unter die geforderten Zielbereiche abfallen.
Im November 2001, beinahe 16 Jahre nachdem ich auf grund des medizinischen
Befundes das Fliegen aufgeben musste, konnte ich meine Kategorie
1, beschränkte medizinische Zertifikation wieder erlangen und zu
meiner Fluglaufbahn in einer kommerziellen Fluggesellschaft zurückkehren.
Ich bin zur Zeit der einzige Flugkapitän auf der ganzen Welt, der
als Typ 1 Diabetiker fliegen darf. Kanada ist bis jetzt das einzige
Land weltweit, das es gestattet, dass auch Diabetiker mit einer
Insulinbehandlung als Piloten einer Fluggesellschaft fliegen dürfen.
In Kanada gibt es jetzt mehr als 50 Piloten mit einem insulinbehandelten
Diabetes, die medizinisch für das Fliegen zertifiziert sind. Drei
von diesen fliegen für kommerzielle Fluggesellschaften, ein Pilot
ist beim kanadischen Militär, während die anderen meistens Freizeitpiloten
sind. Andere Länder beobachten die kanadischen Erfahrungen sehr
genau. Die Regulierungsbehör-den in Australien und Südafrika haben
neuerdings ähnliche Überlegungen wie in Kanada angestellt. Seit
Dezember 1996 hat die US Federal Aviation Administration eine medizinische
Zertifikation der Klasse 3 für Personen mit Insulin behandeltem
Diabetes herausgegeben, die nur das Fliegen für Freizeitzwecke erlaubt.
Bisher sind in den USA keine kommerziellen Lizenzen erteilt worden.
Das Vereinigte Königreich scheint auch bereit zu sein, Freizeitlizen-zen
für Piloten mit einem Diabetes heraus zu geben. Während es den Anschein
hat, dass einige der größten Flugbehörden der Welt beginnen, in
ihrem Standpunkt für Piloten mit Insulin behandeltem Diabetes nachzugeben,
beschränken alle außer Kanada die Herausgabe von medizinischen Zertifikaten
nur auf das Freizeitfliegen. Ich möchte hoffen, dass all diese Beamten
(die der Natur nach an sich konservativ sein müssen, wenn sie danach
trachten, die bestehenden Bestimmungen weicher zu handhaben) schnell
aus der Erfahrung von Kanada sehen werden, dass Piloten mit einem
Insulin behandelten Diabetes, die bereit sind, genau und ständig
ihren Diabetes zu kontrollieren, innerhalb der Parameter, die von
den kanadischen Bestimmungen vorgegeben werden, keine große Gefährdung
für die Flugsicherheit bedeuten. Aus dieser Erfahrung möchte ich
hoffen, dass andere Länder alle Anstrengungen unternehmen, zu gewährleisten,
dass Piloten mit Insulin behandeltem Diabetes individuell bezüglich
der Erteilung einer medizinischen Flugerlaubnis betrachtet werden.
Stephen C. Steele ist Flugkapitän und Rechtsanwalt, der in Kanada,
Cambridge, Ontario wohnt. Er war 31 Jahre in der Luftfahrtbeschäftigt,
als Pilot und als Instrukteur am Flugsimulator. Er verfügt über
weitreichende Hintergrundkenntnisse in der Entwicklung des Flugtrainings
von Fluggesellschaften und über die menschlichen Einflussfaktoren
bei der Luftfahrt. Seit 17 Jahren ist er ein extrem gut eingestellter
Typ 1 Diabetiker ohne jegliche Folgeerkrankungen. For a more complete
analysis of the regulatory issues surrounding diabetes and flying
see Steele, Stephen C. Discrimination on High: Flying on Insulin.
Diabetes Voice 2003 September; 48(3):34-36. See URL: http://www.idf.org/home/index.cfm?node=265
"Canadian Guidelines for the Assessment of Medical Fitness in Pilots,
Flight Engineers and Air Traffic Controllers, with Diabetes Mellitus".
Available from: URL: http://www.tc.gc.ca/CivilAviation/Cam/TP13312-2/diabetes/menu.htm.
Accessed Nov 5, 2003, and Handbook for Civil Aviation Medical Examiners,
Minister of Public Works and Government Services, Canada, 2000;
86-97. Available from URL: http://www.tc.gc.ca/CivilAviation/Cam/TP13312-2/CAME%20Man_Eng_2001.pdf.
Accessed Nov 5, 2003.
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