Erfahrungsbericht
von Gaby Dombek
oder wie ich durch eine Insulinpumpenschulung auf den "Hund" kam
Im zarten Alter von 1 ½ Jahren wurde bei mir 1963 der Typ-1-Diabetes
diagnostiziert. Das hieß fortab 2 mal täglich spritzen, strengster
Diätplan und bei kleinen sportlichen Aktivitäten Traubenzucker oder
Obst essen. Daraus entwickelte sich ein "ja-nicht-sportlich-betätigen-
Effekt" und ein heftiger Frust gegen das "du musst jetzt essen".
Seit dem verfolgt mich der Fortschritt - oder ich ihn. Im Januar
1995 bekam ich sehr starke Schmerzen in den Beinen. Diagnose: Diabetische
Polyneuropathie. In der Uni-Klinik in Regensburg wurde mir die Insulinpumpe
nahe gelegt. Ein Versuch schadet nicht, dachte ich -und siehe da
- meine Schmerzen wurden weniger. Die erste Schulung lehrte mich:
alles ist möglich, was ich berechnen kann, kann ich auch essen.
Bei sportlichen Tätigleiten hatte ich jedoch immer Angst vor den
Neuropathieschmerzen und dem ständigen Ausprobieren und Austesten
mit der Insulinreduktion, der Erhöhung der Kohlenhydrate etc. Deshalb
beschränkte ich meine körperlichen Aktivitäten auf gelegentliches
Radfahren zum Supermarkt gleich um die Ecke. Für einen Menschen
mit Diabetes ist es nicht nur körperlich viel bequemer, sich einfach
nicht zu bewegen. Es passierte 14 Tage vor Weihnachten 2000, mit
meinem ersten Insulinpumpenschulungstag in der Uniklinik in München.
Meine Blutzuckereinstellung war inzwischen trotz Pumpe völlig chaotisch
geworden, die Blutzuckerwerte schwankten munter zwischen 40 und
400 mg/dl auf und nieder. Eine Neueinstellung war dringend erforderlich.
Unsere Schulungsleiterin hieß Ulrike Thurm, und sie hatte uns schon
vor Schulungsbeginn angedroht, dass es sportlich zugehen würde,
im Krankenhaus Innenstadt, wir sollten bitte einen Jogginganzug
und Turnschuhe mitbringen. Am dritten Schulungstag war das erste
Teilziel erreicht. Meine Blutzuckerwerte waren gleichmäßig, wie
mit dem Lineal gezogen. Bei den obligatorischen Mahlzeitenauslassversuchen,
um die Basalrate auszutesten, waren maximale Blutzuckerschwankungen
von 15-20 mg/dl die absolute Obergrenze. Das war mir schon fast
"unheimlich", ich hatte kurzfristig den Verdacht, dass dort alle
Blutzuckermessgeräte manipuliert worden wären, und nur noch normale,
konstante Werte anzeigen könnten. Aber am dritten Tag war dann Schluss
mit lustig, an diesem Tag stand Sport auf dem Programm. Nachdem
alle Schulungsteilnehmer in den vorherigen Tagen alle umfassenden
Voruntersuchungen wie z. B. ein Belastungs?EKG, eine gründliche
Neuropathie-Abklärung, Augenuntersuchung, bei einigen sogar eine
24 Stunden Blutdruckmessung etc. durchlaufen hatten und medizinisch
für sporttauglich befunden wurden, war auch aus dieser Richtung
keine Rettung mehr zu erwarten. Keine Ausrede für den Dauerlauf
oder wahlweise Power-walk um die Theresienwiese (circa 2,6 km).
Eine Stunde vor Belastungsbeginn senkte ich die Basalrate meiner
mit Analoginsulin gefüllten Pumpe um 50 % ab, testete den Blutzucker
und aß bei einem Ausgangswert von 135 mg/dl noch zusätzlich 2 BE.
Jetzt konnte es also losgehen. Ich fühlte mich dank meiner so stabilen
Blutzuckerwerte unglaublich fit, wollte keinesfalls nur gehen sondern
glaubte, mühelos diese 2,6 km joggen zu können. Aber ich wurde ganz
unsanft auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt, und was meinen
Fitnesszustand angeht, eindeutig eines Besseren belehrt. Ich lief
ungeachtet der ständigen "Bremsversuche" von Frau Thurm, die mich
immer wieder aufforderte, ganz locker und langsam zu beginnen, viel
zu schnell los und musste zähneknirschend nach einer knappen halben
Runde vom Laufen zum strammen Gehen wechseln. Jahrelange "Bewegungslosigkeit"
forderte ihren Tribut, ich hatte es nicht glauben wollen, aber ich
war völlig "unfit" geworden. Massive Neuropathieschmerzen in den
Beinen und eine hängende Zunge, über die ich fast stolpern konnte,
zwangen mich zur Aufgabe. Obwohl ich die Runde nur zügig gegangen
bin, sank mein Blutzucker trotz der Basalratensenkung um 50 % und
des erhöhten Ausgangsblutzuckerwertes auf 124 mg/dl ab, ein weiteres
Zeichen für völligen Trainingsmangel. Soviel also zum Thema Sport.
Doch zum Aufgeben fühlte ich mich mit meinen 40 Jahren noch viel
zu jung, mit dem gleichzeitigen Motivationsschub durch die Pumpenschulung
schlug ich meinem "asthmageschädigten" Mann vor, entweder er macht
jetzt regelmäßige Fahrradtouren oder lange Spaziergänge mit mir,
oder ein Hund muss her. Wäre doch gelacht, wenn ich meinen körperlichen
Zustand nicht wieder etwas aufpolieren könnte! So bekamen wir zu
Weihnachten Familienzuwachs - einen 10 Wochen alten Schäferhund.
Mit Tobi, so heißt er, haben wir nicht nur viel Freude, er erfüllt
auch einen psychologischen Zweck. Ich muss bei Wind und Wetter täglich
mehrmals mit ihm Spazieren gehen. Für meine Neuropathie bedeutet
das: eine bessere Durchblutung und dadurch eine deutlich gesteigerte
Sauerstoffversorgung der Nerven. Im Klartext: auch bei körperlicher
Belastung habe ich jetzt keine Schmerzen mehr. Dadurch hat sich
meine gesamte Lebensqualität unglaublich verbessert. Ich bin quasi
ein neuer Mensch geworden. Für meinen Büroalltag war meine neue
Basalrate von insgesamt 21,5 Einheiten optimal. An meinen nun wieder
aktiven Wochenenden durch mehrere, lange Spaziergänge mit Tobi drossele
ich sie komplett für 24 Stunden um 20 %. Im Alltag gehe ich mit
Tobi zwischen 17.00 und 18.00 Uhr eine Stunde über Felder und Wiesen,
aber nicht nur Spazieren -manchmal toben und tollen wir im Schnee,
am Wasser, mit Stock werfen und allem, was ein junger Hund so braucht.
Vor solchen Spaziergängen esse ich je nach Ausgangsblutzucker bei
der Kaffeemahlzeit vorweg 1-3 BE ohne Bolusabgabe. Unterwegs habe
auch immer mein Messgerät, zwei Carrero Glukose-Gels und einige
langwirkende Kohlenhydrate in der Tasche. Ich weiß ja nie, wie Tobi
gerade aufgelegt ist, denn wenn es recht kalt ist, liegt auch er
lieber in der warmen Stube, an schönen Tagen kann die Runde aber
auch mal über eine Stunde hinausgehen. Seit es Tobi gibt, habe ich
Spaß daran, wieder aktiv zu sein und für den Sommer habe ich mit
meinem Mann auch schon längere Fahrradtouren geplant. Wenn ich das
nächste Mal zu Frau Thurm in die Diabetesambulanz gehe, werde ich
noch mal mit ihr die Theresienwiese umrunden. Dann wird sie von
mir nur noch einen Kondensstreifen sehen können.
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